Interview
über die digitale Transformation mit Kristin Scheerhorn
Kristin Scheerhorn begleitet Führungskräfte und Unternehmen, die die digitale Transformation aktiv gestalten wollen. Aufgrund ihrer langjährigen Tätigkeit in der Organisationsentwicklung bringt sie den notwendigen Stallgeruch und fundierte Erfahrungen aus Konzernstrukturen mit. Ihr Motto „Lets make digital more human!“ ist Dreh- und Angelpunkt ihrer Arbeit: Kommunikation auf Augenhöhe ist ihr ebenso wichtig wie diskrete und effektive Zusammenarbeit. Kristin Scheerhorn ist Autorin und Herausgeberin von aktuell 6 Büchern, die ihre einzigartige Expertise widerspiegeln.
Kontaktdaten:
Hasenbuschfeld 19 21629 Neu Wulmstorf
e-Mail: kristin@kristin-scheerhorn.com
Homepage mit Blog: https://www.kristin-scheerhorn.com
Social Media: https://linkedin.com/in/kristinscheerhorn
Kristin, zunächst möchte ich gern wissen, welche Bedeutung hat Entschleunigung für Dich?
In Zeiten des Digitalen Fortschritts geht es vermehrt darum, Brücken zwischen den unterschiedlichen Mitarbeitergruppen im Unternehmen zu bauen. Bereichsübergreifend und unabhängig von Hierarchien ebenso wie zwischen den Generationen. Das funktioniert nur, wenn wir einander mehr zuhören und mit gegenseitiger Wertschätzung begegnen. Dafür müssen wir uns immer wieder Zeit nehmen, auch und gerade in einem eng getakteten Arbeitsalltag.
Du beschäftigst Dich seit Jahren mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf die Zusammenarbeit der Beschäftigten im Unternehmen. Worauf kommt es Dir bei Deiner Arbeit besonders an?
Der Mensch und sein Umfeld ist das Thema, das mich seit Jahrzehnten begleitet. Menschen durch die Unsicherheit, die Digitalisierung auf uns ausstrahlt, gestärkt zu begleiten, ist mir ein Anliegen. Ich möchte Menschen aufzeigen, dass sie die Zukunft selbst in die Hand nehmen können. Passivität war gestern. Künftig gewinnen all jene, die selbst gestalten. Ich biete meinen Klienten notwendiges Hintergrundwissen und vermittle moderne Arbeitstechniken, Stichwort New Work. Veränderung beginnt mit Wissen, um was es geht, es geht weiter mit experimentieren und entscheiden, was ich verändern möchte. Dabei helfe ich.
Du hast zu diesem Themenkreis mehrere Bücher geschrieben. Eines heißt der „Der Millennial-Schock “, es widmet sich der nachwachsenden Generation. Worin genau besteht der Schock?
Der Schock besteht auf beiden Seiten: die Millennials, häufig bei Eintritt ins Arbeitsleben hoch motiviert und engagiert, werden ausgebremst, sie werden nicht gehört, belächelt und marginalisiert. Das frustriert, und führt nicht selten zur Kündigung.
Die Führungsgeneration reagiert irritiert auf junge Nachwuchskräfte, die sich ganz offensichtlich an anderen Werten orientieren als an jenen, die sie selbst seit Jahrzehnten leben.
Ich sehe aufgrund dieser Diskrepanz die Zukunft in den Unternehmen stark gefährdet. Es gibt kaum bis gar keine wirkliche Zusammenarbeit zwischen den Erfahrenen und jenen, die die Unternehmen in der Zukunft führen und dort arbeiten.
Das hört sich nach schwer überbrückbaren Differenzen an. Wie lassen sich diese auflösen?
Ich arbeite grundsätzlich auf dem Augenhöhe Prinzip, dadurch ist es mir möglich zwischen diesen beiden ‚Lagern‘ Brücken zu bauen. Denn: Es geht nur gemeinsam!
Was bedeutet das – was kann ich mir darunter vorstellen?
Ich arbeite mit dem, was da ist: Ressourcenstärkend. Ich setze auf gemeinsam und menschlich. Dann können wir gestalten. Die Welt, die wir uns wünschen. In meiner Arbeit und in meinen Büchern geht es um Klarheit, Menschlichkeit, Wahrhaftigkeit, Gemeinsamkeit, positive Sicht, Selbsthilfe, Humor, aus der Praxis für die Praxis, leicht anwendbar, keep it simple.
Das hört sich sehr menschenfreundlich an. Wie passt das zusammen mit einer Wirtschaftswelt, die viele Beschäftigte funktionalisiert?
Die Veränderungen, die sich aus der Digitalisierung ergeben, erfordern ein Umdenken sofern man und sofern Unternehmen weiterhin erfolgreich und zukunftsfit sein wollen. Das heißt: gebraucht werden Menschen, die nicht nur die Technik verstehen und Prozessanpassungen modulieren, sondern auch ihre innere Haltung und ihr Verhalten den neuen Gegebenheiten anpassen. Mehr als je zuvor geht es darum, mit den richtigen Werten die richtige Gesinnung zu transportieren!
Du scheust ja keine klaren Worte! In einem Deiner Bücher sagt der Protagonist „Im digitalen Zeitalter kommt es nicht so sehr aufs MACHEN, sondern sehr viel mehr aufs DENKEN an.“ Er warnt vor den gutmeinenden Bremsern in den eigenen Reihen, denn: wer die Digitale Transformation am nötigsten hat, verhindert sie am heftigsten!
Das genau entspricht meiner Erfahrung! Deswegen spreche ich das durchaus klar und deutlich an. Es bringt ja auch nichts, denn Kulturwandel lässt sich eben nicht top-down anordnen.
Das stellt das derzeit verbreitete Führungsverständnis förmlich auf den Kopf.
Der digitale Fortschritt macht vor niemandem halt. Wer meint, er kann sich mit Prozessanpassungen und technischen Neuerungen der persönlichen Wandlung entziehen, hat nichts verstanden. Denn bei der digitalen Transformation geht es in erster Linie um die menschliche Transformation. In der Welt von morgen gibt es keine Hierarchie, dafür umso mehr Verantwortlichkeit, auf allen Ebenen.
Was sind denn die Qualitäten, über die Unternehmenslenker künftig verfügen müssen?
Wir müssen wieder lernen Mensch zu sein! Der Mensch wurde in den letzten 25 Jahren darauf getrimmt in das tayloristische Arbeitssystem zu passen und zu funktionieren. Das funktioniert ethisch aber auch wirtschaftlich nicht mehr.
Führung im digitalen Zeitalter erfordert eine andere Haltung: Statt Eigeninteressen zu verfolgen müssen die Gestalter der Transformation das große Ganze im Blick haben und Brücken in alle Richtungen bauen. Das erfordert eine völlig andere Kommunikation als bisher. Der militärische Führungsstil hat ausgedient, top-down-Ansagen werden immer weniger Akzeptanz finden. Stattdessen braucht es echtes Interesse an der Sichtweise der Mitarbeiter, es geht ums Zuhören und erfordert, Entscheidungen in den jeweiligen Kontext stellen und Hintergründe transparent zu machen.
Digitale Prozesse laufen bekanntlich immer schneller ab. Viele Menschen haben das Gefühl, der Entwicklung nicht so schnell hinterherzukommen wie es erforderlich wäre. Wie begegnest Du selbst dem allgemeinen Beschleunigungswahn?
Ich habe mir eine Routine eingebaut: Morgens gehe ich mit unserem Hund eine 5km Runde in der Natur spazieren. Ich geniesse die tollen Momente mit allen Sinnen ganz bewusst.
Zum Abschluss: Hast Du einen besonderen Entschleunigungstipp für die Leser?
Wenn es zu viel, zu schnell ist: Frage Dich, was Du jetzt willst. Ganz bewusst eine Entscheidung für Dich.