Mit dem Herzen sehen

Wir sind fühlende Wesen. Die Ebene des Herzens steht für die Fähigkeit, sowohl zu sich selbst als auch mit anderen in gutem Kontakt zu sein. Egal, wie wir unsere Kontakte im sozialen Umfeld gestalten: Die Beziehung zu anderen setzt eine gute Beziehung zu sich selbst voraus – wir sehen sie mit unserem Herzen.

Die Pandemie-Maßnahmen lösten bei vielen Menschen in den vergangenen Monaten einen Rückzugs-Reflex aus: den Rückzug von anderen Menschen, von der Welt – mehr oder weniger zwangsweise. Auch da, wo Treffen stattfanden, waren und sind sie zum Teil bis heute, auf Abstand angelegt. Der Umgang miteinander hat sich in vielerlei Hinsicht komplett verändert.

Ich frage mich: wird das so bleiben? Wann werden wir uns wieder ungezwungen begrüßen und die Hand reichen, wann werden wir Freunde wieder umarmen, wann werden wir uns wieder ohne Angst berühren?

Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.

Antoine de Saint-Exupery

Üblicherweise vermeiden wir das Alleinsein häufig eben deshalb, weil wir unangenehmen, schmerzhaften Gefühlen ausweichen möchten. Wenn keine Ablenkung mehr da ist, werden wir umso mehr damit konfrontiert.

In einer Zeit, in der wir mehr oder weniger entschleunigt worden sind und zum Rückzug gezwungen waren – und noch sind – besteht die Chance darin, ganz bewusst das wahrzunehmen, was in unserem Leben quer läuft. Erst, wenn wir uns trauen, dorthin zu sehen und den Mut haben, uns mit dem damit verbundenen Schmerz zu konfrontieren, wird eine Veränderung möglich.

Wer beispielsweise merkt, dass ein Großteil der persönlichen Sozialkontakte im Berufsleben erschöpft, kann in Zeiten des HomeOffice erkennen, dass es eine Unterversorgung mit privaten Kontakten gibt.

  • Welche Freundschaften möchte ich wiederbeleben und intensivieren?
  • Wie kann ich neue Sozialkontakte knüpfen und dauerhaft pflegen?
systemische Beratung

Wer das Haus kaum mehr verlässt, aus welchem guten Grund auch immer, kann, ja muss, sich die Frage stellen, wie die Einbindung ins Leben aufrecht erhalten werden kann, um einer Vereinsamung zu begegnen.

  • Welche Sozialkontakte möchte ich pflegen?
  • Wen lade ich ein, wer verhält sich meinen Vorstellungen gemäß seinerseits achtsam und vorsichtig?

Zeit, Entschleunigung, Ruhe, Stille.

Wer sich Einfühlungsvermögen und Rücksicht von anderen wünscht, ist gut beraten, diese Fähigkeit selbst zu kultivieren.

Beginne bei Dir selbst: nimm Deine eigenen Bedürfnisse wahr. Ein achtsames Umgehen mit Dir selbst und ernsthafte Selbstfürsorge sind die Voraussetzung dafür, dass Du selbst genügend Kraft findest, um Dich dauerhaft nicht nur um Dich selbst, sondern auch um andere kümmern zu können. Dafür braucht es immer wieder: Zeit, Entschleunigung, Ruhe, Stille.

Andere mit dem Herzen sehen: Miteinander statt gegeneinander

Ein offenes, mitfühlendes Herz ermöglicht uns, im guten Kontakt mit anderen zu bleiben oder überhaupt erst zu kommen.

In einer Zeit, wo viele Menschen auf Rückzug gepolt sind und Ängste weit verbreitet sind, ist es umso wichtiger, gute Beziehungen zu pflegen und darauf zu bauen. Gerade in der aktuellen Situation dürfte klar geworden sein, wie sehr wir alle miteinander verbunden sind – eine*r allein macht angesichts der aktuellen Aufgaben noch keinen Frühling. Die vielfältigen globalen Herausforderungen lassen sich nur gemeinschaftlich bewältigen, sei es nun der Klimawandel, die Pandemie, die drohende Wirtschaftskrise, Rassismus und Sexismus usw..

Hier schließt sich nun der Kreis: die aktuelle Situation bringt uns zwangsläufig verstärkt mit uns selbst in Kontakt. Durch die eingeschränkten Möglichkeiten, sich im öffentlichen Leben ablenken zu können, müssen wir entweder nach anderen Kompensationsmöglichkeiten suchen – oder wir nutzen die Chance, uns selbst wie auch anderen aufrichtig zu begegnen und den Weg des persönlichen Wachstums zu beschreiten.

Die Qualität Deiner Beziehungen ist entscheidend

Letztlich kommt es entscheidend auf die Qualität der Beziehungen an, die wir miteinander pflegen. Begegnen wir uns vertrauensvoll und gehen wir kooperativ miteinander um? Suchen wir gemeinsam nach Lösungen und ziehen wir miteinander an einem Strang?

Begrüßung

Ein Maßstab für den nächsten guten Schritt ist die Antwort auf die Frage:

Mit dem Herzen sehen: Wie fühlt es sich an?

Gespräche über die allgemeine Wetterlage, Nachbarschaftstratsch oder Endlosdiskussionen über die aktuelle politische Situation sind nicht nur anstrengend, sie entfernen uns auch von anderen. Wenn wir gemeinsam schimpfen, stellt sich zwar vorübergehend das Gefühl von Übereinstimmung ein.

Echte Gemeinschaft und Zugehörigkeit entstehen nur, wenn wir uns auf persönlicher Ebene aufeinander einlassen. In dem Moment, in dem Du Dich von gewohnheitsmäßigem Small talk ab- und Deinem Gegenüber zuwendest, gewinnen Deine Gespräche eine Tiefe, die erst wirklich Begegnungen möglich machen.

  • Worum geht es also in Deinen alltäglichen Gesprächen: handelt es sich um oberflächlichen Smalltalk?
  • Haben die Gespräche Tiefe?
  • Magst Du Dich wirklich öffnen und anvertrauen?
  • Hast Du Interesse an der anderen Person – und spiegelt sich in Eurer Kommunikation auch Interesse an Dir und Deinem Leben wieder?
  • Oder habe ich es mit einer Einbahnstraße zu tun, wo mein Gegenüber sich mehr um sich selbst als um alle anderen dreht? Will ich das bedienen?

Weiterlesen über Emotionen als Motor der Veränderung und den Beginn der Entschleunigung: Das Ende des Triathlons

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